Turmurkunde aus dem Jahre 1777

Im Sommer des Jahres 2000 hat man den Kirchturm der Schleeriether Kirche restauriert. Hierbei wurden im Knopf verschiedene Urkunden sowie einige Geldscheine gefunden. Um die immer schwieriger lesbar werdenden Urkunden in Alt-Deutscher Schrift (hier: Sütterlin) inhaltlich zu sichern, wurde im Jahr 2000 eine Übersetzung in die zu unserer Zeit übliche Lateinische Schrift durchgeführt. Die Originalurkunde aus dem Jahre 1777 (Bild, Ausschnitt) befand sich in gut lesbarem Zustand. Weiter unten folgt der vollständige Übertrag in die lateinische Schrift, mit Erläuterungen zu den darin aufgeführten alten Begriffen...

 

 

Heut Dato 6ten Juny Anno 1777 ist von dem Ehrsammen Niclaus Herold Schieffer Decker von Fritterth, das Kreutz und der Knopf von den Kirchen=Thurm herunder gethan worden, wegen Verstockung der Helm Stangen, welche über andert-halb Schuhe (1) lang ist abgeschnitten worden. In dem Knopf hat man eine Alte Schrift gefunden welche aber wegen eingedrungenem Wasser verstockt und also ohn lees bahr war. Von merkwürdigkeiten dieser Zeit ist zu ersehen, daß dazu mahl unser Gnädigster Landsherr Herr Adam Friderich Bischof zu Bamberg und Wirtzburg schon in das 24te Jahr regieret, Herr von Gebsattel ein Bruder des Hochwürdigen Herrn Weybischofs, OberAmtman. Herr Joseph Valentin Vay Amts Keller (2) zu Werneck, Herr Laurentius Wehner Pfarr Herr, Herr Adam Heer Caplan, Johann Georg Schlother, Schultheis (3), Johannes Hippelius Schulmeister, dahier gewesen.
Ferner ist zu vernehmen das wir anjezo, Gott sey Dank, gesunde Luft genießen und schon in das 15te Jahr von aller Kriegsunruhe befreyet seyn: wo hingegen vor etwan 18 Jahren, kein Mensch sich hat versprechen können, eine Nacht ruhig in seinen Haus zu schlaffen, man mußte täglich von denen königlich=preußischen Völkern das Brand Schatzen befürchten bis endlich das gantze Amt auf einmahl hat Zehen Tausend Gulden fränk (4) Brand Schatzung bezahlen müssen. Auch hat man zu dieser Zeit nicht gewußt was mann vor Geld den künftigen Tag, für gangbahre Müntz halten solle, wo hingegen jetziger Zeit, an allen Orten, eine Allgemeine Conventions Müntz (5) gangbar, Nehmlich das Stück zu 3. 5. 10 und 20 Kreützer (6), dann halbe und gantze Conventions Thlr (7).

Anno 1770 ware eine endsetzliche Theurung und Hungers Noth daß dergleichen von unseren vor Alter hinter Jahren ist nicht gehört noch gesehen worden, mann hat das Mltr: (8) Korn, Waitzen, und Erbsen um 20 fl:, das Mltr: Wicken und Linsen wie auch die Gersten um 14 fl: fränck: verkauft. Es seyet die Leuth bey Hofingen und noch weiter hierher gekommen, und haben Wicken und Haber zum theuersten bezahlt und auf ihren Schuldern nach Haus getragen, es ware so gar bey Lands Verweisung verbotten kein Getrayt auf dem Land zu ver kauffen, es ist im gantzen Land daran Bauern, durch einen dazu bestellten Beamten eines anderen Amts, das übrige getrayt von Herr Schafts wegen abgefasset und auf besondern Schutz Boden, um etwan besorgender grössern Hungers Noth, aufbehalten worden. Nicht nur haben die geringe oder arme Leuth, Haaber Brot gegessen, sondern sie haben Erdäpfel, Kolaraben, Quetten und dergleichen gedörret, gemahlen, und dann Brod daraus gebacken, Bey diesem ist ein Herrschaftliches Decret ergangen, mann solle aller orthen, weisse Rüben bauen, um Brot davon backen zu können, daß 73ern Kleyen Brod haben viele mit grösten Appetit gegessen, die Arme haben vor deren Haus-Thüren knyend weynend gebetten, um nur einen einigen Bissen Brod. Es seyet würcklich viele Menschen dieser Zeit für Hunger gestorben. So gar die Juden haben aller orthen bey denen Christen gebettelt. Da haben sie nicht an ihren Master (?) gedacht. Anno 1771 und 72 hat eine förchterliche Krankheit (9) im gantzen Land, wie auch in benachbarten Ländern graßirt, das alles übrige zu geschweigen man hier 3 verheyrathete Personen nemblich zwey Ehleuth Nahmens Claus Bauer, und dessen Hausfrau, in ihren dreysig Jährigen Alter dann noch einen der stärksten Männer Nahmens Caspar Nöth (?) in ein grab zusammen gelegt und begraben hat.

Anno 1773 hat man mit verwunderung ansehen müssen, daß so viele Gattung der Mäusen, nämlich weiße, schwartze, graue, auch stumpf Schwänzige, und allerhand ungewöhnliche Sorten, unzählbar viel, das Getrayt von allen Gattungen so abgefressen, daß man auf einen Morgen Feld kaum 3. Bund oder Garben bekommen, was noch aufgekommen bis zum Blühen, oder Körnen haben sie noch an denen Stängeln auf lauffent abgebissen. Bey allem deme ist doch das Getrayt wohlfeyler (?) worden.

Diese letzt veflossene Jahre seynd die Früchten so ziemlich gerathen, besonders der Sommer Bau, man verkauft anjezo das Mltr Korn um 4 fl: das Mltr Waitzen um 6 fl: fränk:

Die beste wein unserer Zeithen seynd Anno 1766 und 1775 gewachsen, man hat in Schlechten orthen den Most von der Kaltern um 3 fl: in guten orthen um 5 fl: fränck: bezahlt. Der 1776er Most, Sollte nach Meinung aller Verständigen, besser werden als der 75er es wurden deren meinungen aber nicht erfüllt, Die zu baldige Fröste wahren Schuld, dass man anjezo den Eymer (10) |: weil er nicht zum Besten :| um 2 fl: fränck: kauft. Auf den künftigen Most macht man sich gute Hoffnung: das Korn aber ist wegen großen und lang liegen gebliebenen Schnee Sehr verwindert, daß mann fast die Helfte wiederum hat umackern und mit Sommerbau Sehen müssen, der Waizen aber Stehet, daß man ihn nicht besser begehren kann.

Die Merkwürdig Keiten unserer Zeiten ausführlich zu beschreiben müßte man ein gantzes Buch (11) Papier haben, es seynd Erstlich die Kirchweihen auf einen Sontag zu halten befohlen worden, die Feier Tage abgeändert, der Jesuiten orten auf gehoben, und noch vieles welches wegen Kürtze der Zeit nicht kann Beschrieben werden.

Datum ut Supra (12)


Erläuterungen:

Fußnote Begriff Erläuterung
(1) Schuh altes Längenmaß (= Fuß), entsprach in Bayern 0,292 m
(2) Amts Keller alte Berufsbezeichnung: gehobener Verwaltungsaufseher, der unter anderem für die Einnahmen der Abgaben zuständig war; hatte auch polizeiliche und richterliche Gewalt; setzte den Schulheis ein
(3) Schultheis veraltet: Gemeindevorsteher; ursprünglich in der fränkischen Zeit Vollstreckungsbeamter der Grafen, die auch eine Gerichtsbarkeit ausübten
(4) Gulden frän(c)k in Franken gebräuchliches Zahlungsmittel (Abkürzung: fl = Florin)
(5) Conventions Münz in Franken gebräuchliches Zahlungsmittel
(6) Kreuzer kleinere Währung von wechselndem Wert, im allgemeinen 1/60 Gulden bzw. 1/90 Taler
(7) T(h)aler bis ins 18. Jahrhundert amtliche deutsche Münze (Reichstaler), (Abkürzung: Thlr)
(8) Malter altes Hohlmaß für Korn, das auch in Werneck gebräuchliche "Arnsteiner Mltr." (Abkürzung) entsprach 173,76 l
(9)   möglicherweise handelt es sich um die zur damaligen Zeit in unserer Gegend grassierende, sogenannte "Blutruhr", die wahrscheinlich bei einem Feldzug eingeschleppt wurde
(10) Eymer alte Maßeinheit, nach dem auch in Werneck gebräuchlichen "Arnsteiner Eich" hatte ein Eymer 80,93 l, während er in Würzburg 74,92 l fasste
(11) Buch entsprach 24 Bogen Schreib- oder 25 Bogen Druckpapier; ob es sich in diesem Fall um eine Redewendung handelt, oder ob es sich um die in alter Zeit gebräuchliche Maßeinheit handelt, konnte nicht geklärt werden
(12) Datum ut Supra lateinisch  = Datum wie oben (angegeben)

 

(Quelle: aus den Originalurkunden (Sütterlin-Schrift) übertragen und zusammengestellt von Martin Pfister, Schleerieth, im Jahre 2000)