Turmurkunde aus dem Jahre 1846

Im Sommer des Jahres 2000 hat man den Kirchturm der Schleeriether Kirche restauriert. Hierbei wurden im Knopf verschiedene Urkunden sowie einige Geldscheine gefunden. Um die immer schwieriger lesbar werdenden Urkunden in Alt-Deutscher Schrift (hier: Sütterlin) inhaltlich zu sichern, wurde im Jahr 2000 eine Übersetzung in die zu unserer Zeit übliche Lateinische Schrift durchgeführt. Die Originalurkunde aus dem Jahre 1846 (Bild, Ausschnitt) befand sich in gut lesbarem Zustand. Weiter unten folgt der vollständige Übertrag in die lateinische Schrift, mit Erläuterungen zu den darin aufgeführten alten Begriffen...

 

 

Am 28. März 1846 - Samstag vor Judica (13) - wurde vom Schieferdecker Andreas Herr von Obbach das Kreuz und der Knopf vom Kirchenthurm herab genommen, weil daselbe in den Kriegsjahren – 1796 – von den Franzosen durchschossen war. Die Helmstange wurde um 6 Schuh verlängert und auch ein neuer Knopf angeschafft. In dem Knopf selbst hat man eine in Blei gewickelte Schrift gefunden, d: d: 6. Juni 1777, welche im Originale beiliegt und in Abschrift in die Pfarrey Repositur hinterlegt ist. Zu bemerken ist, daß seine Majestät der König – Ludwig I. – im 21ten Jahre die Zügel der Regierung führt und ein treuer Beschützer der kathol. Kirche ist; unser hochwürdigster Bischoff ist Georg Anton Stahl, der Philosophie und Theologie Doctor, Schiffmannssohn aus Stadtprozelten, einer der gelehrtesten und frömmsten Männer der Diözese; Dechant (14) des Kapitels (15) Geldersheim ist der hochw: Herr Michael Heuslein, der Philosophie Doctor, Pfarrer zu Zeuzleben, welcher bereits 23 Jahre Dechant ist und im Laufe dieses Jahres sein Priesterjubiläum feiern wird, nämlich Sonntag vor Pfingsten; zu Werneck ist Herr Johann Ihl Landrichter; Pfarrer zu Schleerieth ist Joh. Mich. Leußner aus Kronungen, Kaplan Melchior Faulhaber aus Würzburg, Schullehrer Martin Hornung aus Obernau, Vorsteher Georg Neubert und Stiftungspfleger Adam Kömm. Wir leben jetzt in den friedlichsten Tagen, so daß viele jetzt lebende Menschen von jenen fürchterlichen Kriegsjahren, welche die französische Revolution – 1789-1815 – erzeugte, nichts aus Erfahrung wissen. Im Jahre 1832 wurde der II geborene Prinz unseres königli. Hauses Otto auf den neu errichteten Thron von Griechenland erhoben, wohin ihn 2000 Mann bayerischer Truppen begleiteten. Im Jahre 1834 hatten wir in jeder Hinsicht ein gesegnetes Jahr, besonders wuchs ein vortrefflicher Wein. Die Trauben hatten im Mai schon abgeblüht, im Anfange Oktober war die Lese und der Nachsommer so schön, daß die Trauben nocheinmal hätten reifen können. Im Jahre 1835 legte es 2 Tage vor Kirchweih |:11 November:| einen 1 ½ hohen Schnee bei einer 14 o starken Kälte; Der Main fror in jenem Winter 3 mal zu. Im Jahre 1840 im Januar war ein sehr hoher Schnee, welcher jedoch keine besondere Wasserfluth verursachte.
Das Jahr 1842 war sehr trocken, so daß der Sommerbau fast gänzlich umschlug, jedoch wuchs ein guter Wein. Die Folge dieser Tröckne war eine große Anzahl von Mäusen und Wespen.
Im Jahre 1843 wurde eine künstliche Theurung erzeugt, daß baierische Schäffel (16) Korn und Weizen kostete 3 Wochen vor der Enrte 27 fl: Dieses ist besonders merkwürdig wegen der 11 hundertjährigen Säkularfeier des Bistumb Würzburg, welche vom 8. bis 15. Juli hochfeierlich in der ganzen Diözese begangen wurde. In Würzburg waren zugegen: Der hochwürdigste päpstliche Nuntius in München, Erzbischof von Karthago, Mons: Michael Viale Prela, ferner die ehrwürdigsten Herrn Bischöfe Leonard Pfaff von Suhl und Karl August Graf von Reisach von Eichstädt. Es wurde auf diese Feier auch eine besondere Denkmünze geprägt deren Avers=Seite (17) den Dom zu Würzburg und die Revers=Seite (18) die Bischöffe der heiligen Kilian, Burkard und Bonifaz trägt. Im Jahre 1844 sind obgenannte Pfarrer und Kaplan zu gleichen Zeit nach Schleerieth gekommen. Im Jahre 1845 fing es im Januar an zu schneien und legte einen solchen Schnee, wie es noch Niemanden gedachte. Es war sogar der Weg nach Vasbühl ungangbar und man hörte von Unglücksfällen an vielen Orten, die Menschen und Vieh getroffen; selbst der Kaplan war nahe daran, zwischen Schleerieth und Rundelshausen im Schnee umzukommen. Der Schnee fing erst am Feste Mariä=Verkündigung, welches auf den 3 ten Ostertag fiel, stark zu schmelzen an, sozwar, daß die Leute, welche im Frühgottesdienst in Eckartshausen noch ganz trockenen Fußes gingen, den Rückweg vor lauter Wasser fast nicht machen konnten. Wegen des tiefen und lange anhaltenden Schnees, sowie wegen großer Kälte im März ging der Wildstand beinahe ganz zu Grund. Im Sommer sah man selten einen Hasen es dürften auch im folgenden Winter keine geschossen werden. Der Wasserstand war beinahe so hoch als jener von 1784; in Würzburg ging das Wasser bis an die Domstiege. Im Juni desselben Jahres trat das Wasser durch starkes Regnen abermals in bedeutende Höhe aus, und richtete, weil man nicht darauf vorgesehen war, bedeutenden Schaden an. Im November 1845 kostete, obwohl sämtliches Getreide gut geraten war, der Schöffel (19) Weizen 21 fl: Korn 19 fl: Gerste 15 fl:  Haber 7 fl: - Erbsen 17 fl: – Allein das merkwürdigste von diesem Jahre ist, daß unter den Kartoffeln eine besondere Krankheit herrscht, die Kartoffeln bekommen Flecken, welche weiter greifen, einen widerlichen Geschmack und Geruch verursachen, und werden sie gekocht, so werden diese Flecken ganz hart.
Das Jahr 1846 zeichnete sich dadurch aus, daß beinahe gar kein Schnee fiel und nur wenige Tage kalte trockene Witterung war. Die letzten Tage des Februar waren wahre Frühlingstage; die Gärten wurden umgegraben und Gerste und Haber auf dem Felde gesäät. Der Winterbau steht ganz vortrefflich.
Unsere Zeit steht hoch in Künsten und Wissenschaften. Man arbeitet überall an Eisenbahnen; auch in unserer Nähe wird eine solche von Bamberg über Schweinfurt, Bergrheinfeld et: nach Würzburg und Aschaffenburg gebaut; Auch zeichnet unsere Zeit durch Auswanderungslust nach Amerika aus. Selbst aus der Pfarrei sind mehrere Personen und Familien dorthin ausgewandert.
Der älteste Mensch dahier ist Johann Pfister, geb. 1761 am 29. April; er war Ministrant, als im Jahre 1772 drei erwachsene Leute in ein Grab gelegt wurden, der jüngste ist Joh: Franz Rottmann, geb: 1846 am 30. März.
Seelenzahl von Schleerieth ist gegenwärtig 245.

Schleerieth den 4. April 1846

Nachschrift
Am 2. Dezember 1844 brannten dahier 2 Scheuer ab; der Brand mag durch Unachtsamkeit herausgekommen (?) seyn. Im Jahre 1824 wurde ein Gde Bauholz verkauft und daraus gegen 6000 fl: gelöset, dieses Geld wurde zum Bau einer neuen Kirche bestimmt und addmassirt (?) (20). Gegenwärtig steht der Kapitalstolz auf 13500 fl: Diese Schrift ist mit Dinte geschrieben, dagegen die andere dieser gleichlautende mit Farbe.

 

Erläuterungen:

Fußnote Begriff Erläuterung
13 Judica fünfter Passionsonntag, vorletzter Sonntag vor Ostern (lateinisch: iudica; nach dem Anfang des Introitus "Iudica me..." (= Richte mich...), Psalm 43
14 Dechant Leiter eines Kirchenbezirks innerhalb einer Diözese (= Dekan)
15 Kapitel geistliche Körperschaft an Kirchen und Domen (Domkapitel)
16 baierisches Schäffel altes Getreidemaß: 2,2 hl
17 Avers Vorderseite einer Münze (Bildseite), Medaille
18 Revers Rückseite einer Münze
19 Schöffel = Schäffel, altes Getreidemaß, in Bayern 2,2 hl
20 addmassirt angelegt, angespart

 

(Quelle: aus den Originalurkunden (Sütterlin-Schrift) übertragen und zusammengestellt von Martin Pfister, Schleerieth, im Jahre 2000)