Turmurkunde aus dem Jahre 1895

Im Sommer des Jahres 2000 hat man den Kirchturm der Schleeriether Kirche restauriert. Hierbei wurden im Knopf verschiedene Urkunden sowie einige Geldscheine gefunden. Um die immer schwieriger lesbar werdenden Urkunden in Alt-Deutscher Schrift (hier: Sütterlin) inhaltlich zu sichern, wurde im Jahr 2000 eine Übersetzung in die zu unserer Zeit übliche Lateinische Schrift durchgeführt. Die Originalurkunde aus dem Jahre 1895 (Bild, Ausschnitt) befand sich in gut lesbarem Zustand. Weiter unten folgt der vollständige Übertrag in die lateinische Schrift, mit Erläuterungen zu den darin aufgeführten alten Begriffen...

Am Montag den 26. August 1895 wurde durch den Schieferdeckermeister Karl Schneller von Werneck das Kreuz und der Knopf vom Kirchthurme abgenommen um solche zu vergolden. Zur freudigen Erinnerung an den siegreichen Feldzug des Jahres 1870/71. Diese 25jährige Gedenkfeier wird in ganz Deutschland an allen Orten festlich begangen. In dem Knopf befand sich eine gut erhaltene Urkunde von 1777, welche wieder beigelegt wurde; ebenso fand man  darin eine solche von 1846, in Duplo, welche ebenfalls wieder beigelegt wurden. Der Pfründeinhaber (21) der hiesigen Pfarrei ist z. Z. Konrad Fleckenstein, geb. zu Schöllkrippen. Der derzeitige Lehrer heißt Bruno Wolf, Gastwirtssohn aus Büchold. Bürgermeister ist Adam Rettner, Beigeordneter Johann Rottmann, Gemeindekassier Nikolaus Hofmann, Kirchenpfleger Georg Rettner, Armenpfleger Andreas Metzger, Mitglieder des Gemeindeausschusses Andreas Schneider und Johann Kamm. Am 8. August 1890 nachmittags ½ 1 bis 2 Uhr wurde die Gemeindekasse im Hause des damaligen Gemeindekassiers Nikolaus Drescher, Haus Nr.: 24 erbrochen und daraus 687 M. gestohlen. Der Dieb schleppte die eiserne Kiste in den Keller woselbst er den Deckel einschlug. Daselbst fand man auch die winkulierten (22) Wertpapiere des Armenfondes welche der Dieb, da er solche nicht verwerten konnte, hinter die Fässer warf. Leider fehlt bis heute jede Spur vom Thäter. Im Jahre 1861 wurde die hiesige Kirche vom Maurermeister Andreas Fischer aus Rundelshausen neu erbaut, der Thurm blieb stehen.
Am 23. Januar 1890 kam plötzlich ein Sturmwind, der auf der nördlichen Seite des mit Schiefersteinen gedeckten Daches sieben Sparren mit samt Dach abhob und zu Boden warf. Viele Gebäude wurden stark beschädigt. Die stärksten Bäume wie Strohhalme geknickt. Andere mit samt den Wurzeln aus dem Boden gerissen. Die Schule wurde 1873 neu erbaut. 1893 war eines der besten Weinjahre dieses Jahrhunderts. Der heurige Most verspricht ebenfalls gut zu werden, da das Wetter im September so schön ist wie seit Menschengedenken nicht. Wir haben tägl. bei 24 – 27 o R (23). im Schatten. Seit Mitte Juni hatten wir keinen Landregen mehr. Durch die Gewitterregen haben wir eine gute Ernte erhalten. Im Jahre 1893 entstand infolge anhaltender Trockene, eine solche Futternot daß die Leute ihr Vieh um Spottpreise abgeben mußten. Es kam sogar vor, daß Vieh, welches zu sehr abgemagert war, abgeschlachtet und vergraben wurde, um es nicht Hungers sterben zu sehen. Der Zentner Stroh wurde aus Altbayern bezogen mit 6 M (24), Heu mit 9 – 10 M bezahlt. Die Fleischpreise gingen von 70 D (25) rasch herunter, so daß man das Pfund noch mit 20 D bezahlen mußte. Die beiden folgenden Jahre waren wieder gut, es gab Futter und Stroh in Fülle, so daß Vieh und Fleisch wieder die alten Preise erreichten.
1890 wurde die Strasse nach Rundelshausen, 1893 jene nach Egenhausen vollendet. Von den Soldaten welche den Feldzug 1866 mitmachten, leben aus hiesiger Gemeinde noch der damalige Bürgermeister Adam Rettner, Karl Schmitt, Michael Popp und Sebastian Krückel. Die beiden letzten haben auch den Feldzug 1870/71 gegen Frankreich mitgemacht; außerdem leben von letzeren noch der Beigeordnete Johann Rottmann und Bäcker Reuß.
Der älteste Mann der hiesigen Gemeinde ist z. Z. der Bauer Adam Pfister fulgo jochum (26), geb. 14. Januar 1815.
Das jüngs geboren ist Johann Ambrosius Huppmann, Kind des Steinhauers Adam Huppmann, geb. 7. Sept. 1895.

 

Erläuterung:

Fußnote Begriff Erläuterung
21 Pfründe die Ausstattung eine geistlichen Amtes mit Landbesitz und Einkünften; bis ins 20. Jahrhundert üblich; Einkünfte aus einem Kirchenamt; das Kirchenamt selbst
22 winkuliert entsprechende Wertpapiere können nur mit Zustimmung veräußert oder übertragen werden
23 Grad R. veraltete Gradeinteilung des Thermometers in 80 Grad nach dem französischen Physiker R.-A. Ferchault de Rèomur (1683 - 1757); Gefrierpunkt des Wassers bei 0 Grad Celsius, Siedepunkt des Wassers bei 80 Grad Celsius: die genannten 24-27 Grad R. entsprechen 30-34 Grad Celsius
24 M Abkürzung für Mark
25 D Abkürzung für Pfennig
26 fulgo f(v)ulgo: genannt; gemeinhin, gewöhnlich benannt (vor Personennamen)

 

(Quelle: aus den Originalurkunden (Sütterlin-Schrift) übertragen und zusammengestellt von Martin Pfister, Schleerieth, im Jahre 2000)