Turmurkunde aus dem Jahre 1936 (1. Teil)

Im Sommer des Jahres 2000 hat man den Kirchturm der Schleeriether Kirche restauriert. Hierbei wurden im Knopf verschiedene Urkunden sowie einige Geldscheine gefunden. Um die immer schwieriger lesbar werdenden Urkunden in Alt-Deutscher Schrift (hier: Sütterlin) inhaltlich zu sichern, wurde im Jahr 2000 eine Übersetzung in die zu unserer Zeit übliche Lateinische Schrift durchgeführt. Die Originalurkunde aus dem Jahre 1936 (Bild, Ausschnitt) befand sich in gut lesbarem Zustand. Weiter unten folgt der vollständige Übertrag in die lateinische Schrift, mit Erläuterungen zu den darin aufgeführten alten Begriffen...

Die Urkunde des Jahres 1936 wurde in zwei Teile getrennt, weil es eine handschriftliche vom damaligen Pfarrer Joseph Söller (Teil 1) und eine maschinenschriftliche von Bürgermeister Johann Weeth (Teil 2) gibt.

Am Donnerstag, den 13. August 1936 wurde vom Schieferdecker Christian Mahlmeister in Werneck und von seinem Gesellen Edmund Müller von Heidelberg das Turmkreuz mit dem Hahn und der Knopf vom Kirchturm abgenommen, um die alte vermorschte  Helmstange zu erneuern. Die Kugel hatte einen Einschuß von Kleinkaliber ohne Ausschußöffnung. Durch diesen Schuß war das innerhalb der Kugel befindliche Glas zertrümmert, aber die in Blei eingewickelten Schriften waren unversehrt und noch gut leserlich; sie hatten durch die Feuchtigkeit nicht gelitten. Die Urkunden von den Jahren 1777, 1846, 1895 und 1907 wurden wieder eingelegt und diese hinzugefügt. (Diese mit Eisengallusbuchtinte (29), die andere mit Schreibmaschinenschrift geschrieben, um auch deren Haltbarkeit für das nächste halbe Jahrhundert zu erproben). Was in der ältesten Urkunde von 1777 gesagt ist: „Die Merkwürdigkeiten unserer Zeiten ausführlich zu beschreiben, müßte man ein ganzes Buch Papier haben“, gilt heute noch in höherem Maße.
Die Weinberge, die 1907 noch in geringem Maße vorhanden waren, zuletzt noch im Nordwesten zwischen Dorf und Steinbrüchen, sind im Jahre 1914 ausgehauen worden. Die letzten Winzer waren Hans Rettner Bürgermeister und  Valentin und Franz Rottmann, vulgo Herrnadels. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts gab es noch ca. 72 Morgen Weinberge neben 1567 Morgen Ackerfeld, 96 Morgen Wiesen, 41 Morgen Krautfeld und 220 Morgen Wald. Im Osten: Kies, Reuter, Stahrenberg; im Westen: die Fußweinberge, der Geiersberg oder obere Weinberg, die Katzenwengert oder Zehntweinberge oder die langen Weinberge, der Rörles= oder Böckerleinsweinberg; im Nordwesten: der Steinweinberg und der Herlesweinberg oder hintere Weinberg. 1911 und 1921 waren gute Weinjahre. Ebenso sind manche bewaldete Hügel von damals verschwunden: der rote Hügel, das Plexhölzlein, das Tännig, der Birkgraben (Biergraben) und das Leistenholz.
Statt des Weinbaues hat eine vorzügliche Obstbaumzucht und eine vorbildliche Obstbaumpflege eingesetzt dank der rührigen Arbeit des Obstbauvereins und seiner leitenden Organe. Im letzten Jahrzehnt wurden jedes Jahr durchschnittlich 200 junge Bäume gepflanzt und viele ältere und mittlere auf Sorteneinheit umverdelt. Leider hat man schon 3 Jahre vergebens auf eine reiche Ernte gehofft. Die durch reichen Fruchtknospenansatz im vorigen Herbst gehegte Hoffnung hat der Frühjahrsfrost vernichtet.
Ein strenger Winter mit starker Kälte und tiefem Schnee war 1923; die darauffolgenden Winter und schon der Spätherbst verursachten eine große Winterfeuchtigkeit und unwegsame Straßen; die letzten Winter waren fast schneefrei und ziemlich mild. Die zurückliegenden Jahre erbrachten fast immer gute zufriedenstellende Ernten. In diesem Jahre 1936 hat es seit Mariae Heimsuchung fast jeden Tag geregnet. Es gab viel Lagergetreide, das teilweise auf dem Halm auszuwachsen drohte. Das Getreide mußte gewissermaßen heimgestohlen werden und kam nicht sehr trocken nach hause.
Seit der Abnahme des Turmkreuzes geht die Dreschmaschine im Dorfe mit elektrischem Betrieb. Sie ist das Eigentum der 1921 gegründeten Schleeriether=Rundelshäuser Dreschgenossenschaft; sie drischt auch manchmal in Eckartshausen. Die Elektrizitätsversorgung wurde 1913 eingerichtet; außer der Beleuchtung sind auch zahlreiche Elektromotoren und auch einige elektrische Herde im Dorfe. Ebenso genießt das Dorf seit 1914 die Wohltat einer Hochdruckwasserleitung. Sie wird gespeist von den gefaßten Quellen im saueren See, die mit dem dortigen Wäldchen die Gemeinde von Adam Pohli erwarb. Bei Kriegsausbruch war die Wasserleitung gebaut bis auf einige Hausanschlüsse.
In den Weltkrieg 1914-1918 zogen 71 Kriegsteilnehmer des Dorfes; 7 gaben ihr Leben fürs Vaterland. Die daheimgebliebenen alten Leute, die Frauen und die Kinder hielten und stärkten durch unverdrossene treue Heimatarbeit in Feld und Hof die Kampffront der Heimat; nur 7 Kriegsgefangene (6 Franzosen und 1 Italiener) wurden später zur Mithilfe herangezogen und im Hirtenhause Nr. 12 einquartiert.
Es kam das Ende des Weltkrieges und die Revolution und der Diktatfriede von Versailles. Im Lande dauerte die Lebensmittelknappheit fort. Durch die Inflation oder Geldentwertung kamen die Sparer um ihre Ersparnisse und die Lohn ihrer Lebensarbeit. Die Besitzer von gezeichneten Kriegs= und anderen Staatsanleihen, sowie Stadtanleihen bekamen eine Aufwertung von 25 o/oo; die Hypothekenbanken gaben 25-28 %, die Sparkassen gewährten 12 %.
Die Mißhandlung, Mißachtung und Rechtlosigkeit Deutschlands, die Reparationen und die Ruhr= und Rheilandbesetzung erweckten den Widerstand und die erwachend nationale Bewegung. Das besetzte Gebiet wurde befreit, das Saargebiet kehrte nach einer glänzenden Abstimmung für Deutschland zum Mutterlande zurück. Die Revolution von 1918 hat die deutschen Fürsten enttrhont, Kaiser Wilhelm II ins Exil nach Holland getrieben und König Ludwig von Bayern in der Fremde sterben lassen. Die nationale Regierung von Reichspräsident Hindenburg berufen versucht den Staat des Rechtes, der Freiheit und der Volkswohlfahrt aufzubauen. Außenpolitisch hat Deutschland die Entschlußfreiheit wieder erlangt. Wir haben seit zwei Jahren wieder unser Volksheer und unsere Flotte. Ihre Schiffe vertreten und wahren z. B. jetzt bei dem entsetzlichen Morden in Spanien Recht und Leben der Auslanddeutschen zum Schutz gegen die marxistischen Übergriffe. Wo früher keine Kasernen waren z. B. in Schweinfurt und Kissingen, werden solche gebaut. Ein Teil der Geldersheimer Markung ist zu einem Flughafen und Flugplatz umgebaut. Tagtäglich überfliegen die Flugzeuge unser Dorf. Wie früher die Eisenbahn als neue Merkwürdigkeit angestaunt wurde, so ist es jetzt der gewaltige Autoverkehr auf der Staatstraße und bis hinein in unser stilles abseits gelegenes Dorf. Durch die 1928 verbreiterte und auf besserer Unterlage neugebaute Straße Schleerieth-Schnackenwerth mit einem Kostenaufwand von 8000 M ist das Dorf besser an die Staatstraße angeschlossen. In gleicher Weise wurde die Straße Schleerieth-Egenhausen auf dem Wege der Arbeitsbeschaffung mit einem Kostenaufwand von 21000 M dem modernen Verkehr angepaßt wozu Egenhausen 3800 M und Schleerieth 2700 M zugeschossen haben. Auf diese Weise soll Schleerieth 1936 in die Landverkraftung (30) einbezogen werden, indem das Postauto anstatt von Schnackenwerth direkt nach Egenhausen über Schleerieth fährt. 1934 wurde am Mahlholzhügel ein Grundstück erworben, das jetzt als Schuttplatz dient, später aber für die Verbesserung der Straße nach Werneck in Aussicht genommen ist.
In den letzten 30 Jahren hat sich das Dorf durch viele andere neue Errungenschaften verbessert und seinen Wohlstand gehoben. Kaum ein Dorf in der Umgebung hat soviel neue weithin rotschimmernde und schwarze Ziegeldächer in solcher Zahl aufzuweisen, dazu 8 neue Scheunen und 12 neue oder umgebaute Häuser. Die Häuser von H.Nr. 57-63 sind seit 1907 neugebaut. 57 Häuser sind bewohnt. Neubedachung 1928 des Pfarrhauses 1500 M, des Schulhauses 1932 800 M; Außenrestauration des Pfarrhauses 1930 800 M dazu die Statue der Mutter mit Dach und Lampe 200 M; Außenrestauration der Kirche mit Turm 1933 1400 M; Außenrestauration des Schulhauses 600 M.
Das Dorf zählt 309 Einwohner, die Schule hat 45 Volkshaupt= und 6 Volksfortbildungsschüler, 4 Schüler besuchen die Berufsschule in Schweinfurt. Die Kleinkinderbewahranstalt betreut 40 Kleinkinder durch eine Schwester; die beiden anderen Schwestern versehen die ambulante Krankenpflege in Schleerieth, Eckartshausen und Rundelshausen. Die Anstalt wurde 1921 gegründet und mit 3 Schwestern aus dem Mutterhaus Oberzell besetzt und ist Eigentum des St. Johanniszweigvereins. Die ältesten Leute des Dorfes sind: Melchior Ziegler mit 78 ¼ Jahren und dessen Ehefrau Anna Maria geb. Krückel mit 77 Jahren, 10 Monaten. Sie können am 25. Januar 1937 ihr goldenes Ehejubiläum begehen. Der Jüngste des Dorfes heißt Paul Pfister 2 ½ Monate alt, Sohn des Otto Pfister.
Der Inhaber hiesiger Pfarrei ist z. Zt. Ernst Joseph Söller aus Miltenberg, die Kaplanei ist seit Abzug des Kaplans Alois Rauch aus Nantenbach bei Lohr (3. Juli 1936) unbesetzt. Die Schulstelle versieht Hauptlehrer Ludwig Reith aus Binsbach bei Gänheim. I. Bürgermeister ist Hans Weeth, II. und Bauernführer Leo Schraut, III. Gottfried Kippes, Gemeindekassier Georg Neubert, Kirchenpfleger Adam Pohli, Heiligenmeister Georg Neubert und Christian Schraut. Nach 40 jähriger Tätigkeit ist unsere Hebamme Anna Maria Neubert in den Ruhestand getreten und wird dieser Dienst von Schnackenwerth aus versehen. Gemeindediener ist Emil Drescher. Darlehenskassier ist Ludwig Neubert, Vereinsvorsteher ist der frühere Rechner Franz Rottmann. Der Verein 1911 gegründet hat über 60000 M Spareinlagen. Seine gemeinnützigen Einrichtungen (Kreissäge, Beizapparat, Kleereiber, Schrot= und Putzmühle) werden fleißig benützt. Wie früher die Gemeindekasse beraubt wurde, so wurde vor einigen Jahren bei der Darlehenskasse eingebrochen und 500 M gestohlen. Der Täter blieb unbekannt.
Schleerieth ist auch der Sitz der 1931 errichteten Süßmosterei und Obstverwertung für Schweinfurt-West.
Am 9. Juli 1931 hat die gesetzlich festgelegte Mehrheit der Grundbesitzer und Flächeninhaber der bereits 1903 beim Flurbereinigungsamt Bamberg beantragten Flurbereinigung zugestimmt. Die Wegeinteilung, die Drainierung der Sauerriedern, die Korrektion des Schleeriether Grundbaches ist durchgeführt, die weitere Korrektion desselben gegen Schnackenwerth mitten durch die Wiesen wird im Winter 1936/37 erfolgen. Der offene Graben am Südende des Dorfes wurde 1934 durch eine eingebaute Rohrleitung mit 5 eingebauten Schächten überbrückt. 1936 wurde die Zentralisierung der Milchablieferung durchgeführt, bei 2,5 D pro Prozent Fettgehalt, bewegt sich der Literpreis der Milch zwischen 6-12 D. Teuerer als die Milch ist das Bier, dessen Preis wurde um 4 D erhöht, sodaß der Liter  50-52 D kostet.
Die Mauer des 1809 außerhalb des Dorfes angelegten, 1849 und 1877 erweiterten Friedhofes wurde auf der Südseite erhöht. Neueinteilung mit Familiengräber an der Mauer ist vorbereitet. Von Viehseuchen und Brandunglück blieb die Gemeinde in den letzten 30 Jahren verschont, während in Rundelshausen 28. Nov. 1931 durch Kinder die Scheune von H.Nr. 17/18 und in Eckartshausen 22. Sept. 1932 wahrscheinlich durch Brandstiftung auch die Scheunen von H.Nr. 17/18 eingeäschert wurden.
Der Zentner Roggen kostet 7,50 M, Weizen 9,50, Gerste 7,79 M, Hafer 7,57 M, Heu 3,70 M, Stroh 1,48 M, Kartoffel 2,52 M; 1 hl. Bohnen 19,15 M, Erbsen 25,95 M, Linsen 30,40 M.
Seit 1927 hat die Gemeinde die Erhebung von Umlagen zuerst 250 %, jetzt 200 % beschlossen. Damit entfällt die Gewährung von Nutzungen (z. B. der Gemeindeteile Leiste, Sauerriedern, Krautbeete und des Rechtlerholzes). Im Dorf sind 12 Radioapparate, 1 öffentlicher und 2 private Fernsprechanschlüsse. Durch die Erbhofgesetzgebung gibt es hier 12 Erbhofbauern. 1855 wurden die Schleeriether Steinbrüche entdeckt von Georg Lindner. Im Jahre 1890 wurde die Linde am Gemeindebrunnen gesetzt, 2 Glocken A und C  16 + 4 Ztr wurden angeschafft 1919 von der Glockengießerei Hamm in Regensburg für die 2 abgelieferten Glocken 375 + 930 kg, 1405 kg wofür 2974,50 PM bezahlt wurden. Die neuen Glocken kosteten 9544,50 PM (31) = 1584,39 GM (32).

Schleerieth, 23. August 1936. Söller Pfarrer.

 

Erläuterungen

Fußnote Bezeichnung Erläuterung
29 Eisengallusbuchtinte aus Galläpfeln oder Tannin und Eisenvitriol hergestellte Tinte
30 Landverkraftung Einbeziehung in die Landkraftpost
31 PM Papiermark
32 GM Goldmark; der Mark der Vorkriegszeit entsprechende , feste Rechnungseinheit in der Inflation

 

(Quelle: aus den Originalurkunden (Sütterlin-Schrift) übertragen und zusammengestellt von Martin Pfister, Schleerieth, im Jahre 2000)